Am 10. Mai fand im Gemeindehaus in Walsrode anlässlich der 15jährigen Jubiläen der Palliativstation im Heidekreis-Klinikum und des Ambulanten Hospizdienstes im Kirchenkreis Walsrode als gemeinsame Aktion die Lesung des Buches „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ durch die Autorin Susann Pásztor statt. Dr. Heitmann begrüßte die aus Berlin angereiste Autorin und die Gäste und gab einen kurzen Überblick über den Ablauf des Abends.
Das Buch zum Thema Sterbebegleitung ist 2017 erschienen. Ein Jahr später wurde es mit dem Evangelischen Buchpreis ausgezeichnet. Wer die Bedeutung des ungewöhnlichen Titels kennt, weiß auch schon, worum es in der Geschichte geht. Das Fenster im Zimmer eines gerade Gestorbenen wird nach altem Volksbrauch geöffnet, damit seine Seele entweichen kann.
Der Stoff: Eine unkonventionelle, stolze, höchst eigensinnige 60-jährige Karla mit Krebs im Endstadium, ein auf den ersten Blick unbeholfener übergewichtiger alleinerziehende Vater namens Fred in seiner ersten Aufgabe als Sterbebegleiter und dessen pfiffiger, dichtender, zu klein geratener 13-jähriger Sohn Phil. Mehr Hauptfiguren braucht Pásztor nicht, um daraus eine berührende und dennoch humorvolle und niemals ins Kitschige abdriftende Geschichte zu machen.
Die Lesung in Walsrode bezeichnete die Autorin als Heimspiel, denn als alte Soltauerin fühlt es sich fast wie zu Hause an. Auf Nachfrage, wer den Film zum Buch mit Iris Berben gesehen hat, meldete sich gut die Hälfte des anwesenden Publikums haben den Film gesehen, so bemerkte Frau Pásztor scherzhaft, müsste sie gegen den Film „anlesen“. „Ich bin mit dem Film sehr glücklich. Es gibt ein paar kleine Abweichungen, die mich ein bisschen gezwickt haben. Ich finde es schade, dass Fred, der in meinem Buch ein ganz normaler Mann ist, im Film zu einem Witwer gemacht, der den Tod seiner Frau betrauert. Er ist keinen inneren Ruf gefolgt, ehrenamtlicher Hospizmitarbeiter zu werden, sondern fand es an der Zeit, irgendetwas zu machen und das Thema hat ihn gerufen.
Bei mir war es so, dass ich irgendwann mal dachte: ich bin gesund, ich habe Familie, ich habe ein gutes Leben und es ist an der Zeit, etwas zurückzugeben. Das Thema Tod hat mich immer schon beschäftigt und ich fand auch, dass es in unserer Gesellschaft unterrepräsentiert ist. Irgendwann habe ich dann die Ausbildung zur Hospizmitarbeiterin gemacht und in der Ausbildungsgruppe saßen mit mir ganz normale Leute, nicht Leute, die irgendein Drama verarbeiten wollten, sondern die etwas tun wollten. Fred aus dem Buch ist auch aus diesen Gründen in die Hospizarbeit eingestiegen.“
Zur Einleitung des Kapitels gibt die Autorin einen kurzen Überblick: Fred hat gerade die Ausbildung zum Hospizmitarbeiter abgeschlossen und Karla ist seine erste Begleitung. Sein erster Auftritt bei ihr ist verständlicherweise sehr unbeholfen. Er weiß nicht viel mehr von ihr, als dass sie Krebs hat und nicht mehr lange zu leben hat. Mit diesem Wissen und dieser geballten Unsicherheit steht er jetzt bei ihr vor der Tür.
Seit 2010 arbeitet die Autorin als Sterbebegleiterin und weiß: »Selbst für erfahrene Sterbebegleiter ist die erste Begegnung mit den Zubegleitenden oft mit Unsicherheit und Vorsicht verbunden. Fred ist unsicher und will nichts falsch machen. Er trifft eine Entscheidung: Sie hatte eine Begleitung gewünscht, er war Begleiter. Es war unwichtig, wie er anfing, Fred gesteht: »Es ist mein erstes Mal.« Worauf Karla trocken erwidert: »Was für ein Zufall. Bei mir auch.«
Weiter liest Frau Pásztor aus einem Kapitel, in dem Karla und Fred einen Termin bei einem Bestatter wahrnehmen, der Karla nach ihrem Tod „attraktive Möglichkeiten“ verspricht – etwa, aus ihrer Asche Diamanten zu pressen oder sie Teil eines künstlichen Korallenriffs in Australien werden zu lassen.
Zur Einleitung eines weiteren Kapitals, was die erste Begegnung zwischen dem 13jährigen Phil und Karla erzählt, beschreibt die Autorin Phil, der der neuen Aktivität seines Vaters sehr misstrauisch gegenübersteht.
Sie erklärt ihre Motivation, warum sie einen Jugendlichen in ihrem Roman aufnehmen wollte. „Kinder haben großen Respekt vor den Themen „Sterben und Tod“, stellen sich diese Themen jedoch mit großer Offenheit und sind da sehr unbefangen. So eine Figur wollte ich haben. Ich habe mir nicht überlegt, wieviel Raum Phil in dieser Geschichte einnehmen soll. Aber wie es manchmal ist, die Figuren entscheiden selbst, wieviel Platz sie kriegen, und Phil hat sich richtig breitgemacht. Es ist nicht nur eine Geschichte vom Sterben, sondern auch eine Vater-Sohn-Geschichte. Ich hätte mir niemals vorgenommen, eine Vater-Sohn-Geschichte zu schreiben. Manchmal entwickelt es sich so, dass die Figuren, die man sich ausdenkt, so eine Art Eigenleben entwickeln.“
Die Geschichte, bei der Karla von Lyrikfan Phil mit einem Oma-Rap bedacht wird, ist Beleg dafür, dass Pásztor auch die Sprache der Jugendlichen überzeugend wiedergibt. „Alter, Oma stirbt bald, und das treibt mich in den Wahn, Oma ist kein Opfer, sie lacht und sagt: Na dann, Krebs, du alte Sau, Oma Ciao, Super-Gau. Oma weiß, wo’s hingeht, aber ich hab keinen Plan.“
Die gelesenen Kapitel sind humorvoller, als man bei diesem Thema annehmen könnte. Es gibt darin viele groteske Szenen, die auch an diesem Abend das fast ausschließlich weibliche Publikum zum Schmunzeln brachten.
Anschließend bedankte sich die Koordinatorin Ute Grünhagen bei Frau Pásztor mit einem kleinen heimischen, süßen und reisefähigen Gastgeschenk. Sie fand viele Parallelen zwischen dem Buch und der wirklichen Hospizarbeit. So wie es Fred, Klara und Phil in dem Buch ergangen ist, so geht es auch den Begleitern - zuzuhören, empathisch zu sein, aber sich selbst zurückzunehmen, in der Vorstellung wie gutes Sterben funktionieren kann, das gehört zur Hospizarbeit. Ihr Dank ging auch an Axel Münch und Mitarbeiterin von der Buchhandlung Kappe, die den Büchertisch gestaltet haben und natürlich an die anwesenden Gäste.
Frau Pásztor ging gerne am Ende der kurzweiligen Lesung auch auf persönliche Fragen des Publikums ein.
So wurde sie gefragt, ob sie auch an dem Drehbuch zum Film beteiligt war. „Nein, ich war aber beratend beim Film dabei, was nicht selbstverständlich ist, Mir war klar, bei einem Film muss ein Autor Abstriche machen. Die Drehbuchautorin hat sich große Mühe gegeben, ganz nah am Stoff zu bleiben. Da wo es Abweichungen gab, wurde dies sehr empathisch gelöst.“
Aus dem Publikum kam der Hinweis, dass es sich bei dem Buch „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ auch um ein tolles Jugendbuch handelt und bereits mehrfach an Jugendliche verschenkt wurde.
Dr. Heitmann fragte nach, „Was meinen Sie, was nötig ist, damit junge Menschen sich mehr mit den Themen „Sterben und Tod“ auseinandersetzen und auch das Interesse für die Hospizarbeit geweckt wird?“ „Als meine Mutter starb, war ich von allem total überfordert. Damals habe ich mir schon überlegt, dass Themen wie Tod und Sterben in den Unterricht einfließen müssten. Die Auseinandersetzung damit könnte vielleicht ab Sekundarstufe 1 z. B. in Form von Arbeitsgruppen stattfinden oder zumindest angeboten werden. Ich glaube, dass so auch der Hospizgedanke bei vielen Jugendlichen früher ins Bewusstsein gerückt werden kann. Kinder sind so neugierig. In der Hospizarbeit sind Männer und junge Leute die Ausnahme – wenn sie da sind, machen sie eine tolle Arbeit. Es ist eine Frage von Öffentlichkeitsarbeit – ich würde in Schulen anfangen. Aufbahren von Toten war früher auch ein Mittel, klarzustellen, dieser Mensch ist tot und du kannst jetzt Abschied von seinem Körper nehmen. Da waren auch Kinder dabei. Ich glaube, es gab schon eine Phase, in der wir das mehr in unser Leben integrieren konnten. Und ich fände es gut, wenn wir da auf kreative Weise wieder hinkommen würden.“
Der Ambulante Hospizdienst führt bereits „Letzte Hilfe Kurse für Kids and Teens“ durch. Dort machen wir die gleichen Erfahrungen, wie Kinder und Jugendlichen mit Sterben und Tod umgehen - ohne Vorbehalte, sehr interessiert und offen.
Nach der Lesung nutzten die Besucher die Gelegenheit, Bücher signieren zu lassen und mit der Autorin ins Gespräch zu kommen.